Ursprünglich wird die Gewissheit, dass das Kind selber ist, existiert, dass es sich selber spürt, über die es pflegende Person, sagen wir der Einfachheit halber, über die Mutter vermittelt. Ihr Gesicht, ihre Stimme, ihre Haut, ihre Brust, ihr Blick, ihre Wärme sind lange Zeit notwendig für das Gedeihen des Kindes. Dass es einen Körper, Glieder hat, erfährt es erst durch die Mutter. Fingerverse ("Das ist der Daumen, der schüttelt Pflaumen....") stehen als Beispiel dafür, dass Benennungen und Interaktionen das Körperempfinden wecken und strukturieren. Die Mutter stellt anfänglich für das Kind nicht etwas dar, was es als abgetrennt von sich wahrnehmen könnte, da es sich noch nicht als Einheit mit sich selber spürt. Die sich wiederholenden Interaktionen führen erst allmählich dazu - wenn sich mentale Strukturen gebildet haben -, dass es die Mutter von sich unterscheiden kann, dass es sie als andere erfährt, als Nicht-Ich. Das Spiegelstadium weist auf diesen entscheidenden Moment hin: Das Kind sieht sich aussen; es nimmt nicht nur seine eigene Gestalt wahr, sondern es erfährt seine Objektivation, d.h. es merkt, dass auch andere seine Gestalt sehen können - so wie es andere sehen kann. Der
Blick der Mutter, allgemein gesagt des Dritten, wird demzufolge wichtig.
Wenn das Kind merkt, dass es sich sehen kann, dass aber auch andere es sehen
können, wird früher oder später von selbst die Frage auftreten: Wie sehen
sie mich? Wie bin ich für die anderen? Es möchte sich dann am liebsten mit
den Augen der Mutter sehen, zumindest ihren Blick beeinflussen können. Es
begehrt ihren Blick, was ihm durch das Gefallen-Wollen wahrscheinlich am
besten gelingt. Selbst wenn diese Trennung antizipiert wird, welche Mutter möchte nicht ein ganz besonderes Kind haben und es auch zeigen? Für welche Mutter sind ihre Kinder nicht die schönsten? In diesem Begehren erkennt Lacan den Grund dafür, dass das Kind, wenn es sich im Spiegel erblickt, nicht seine Hilflosigkeit sieht, sondern seine Idealität, Vollkommenheit. Es ist nicht einfach die Identifizierung mit der Mutter, welche die Wahrnehmung des Kindes glorifiziert, sondern die Indentifizierung mit ihrem Wunsch, ein schönes und intelligentes Baby zu haben. Freud hat das bemerkt und deshalb von "his majesty the baby" gesprochen. Ein narzisstisches Band webt zwischen Mutter und Kind, auch eine Wechselseitigkeit, in der die gegenseitige Idealisierung das Abgründige des Alleinseins, das sich schon mit dem ersten Schrei manifestiert hat, vergessen lässt.
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